Am Sonntag, den 9. Juni, kamen der langjährige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann und der israelische Starkoch Uri Buri zu einem außergewöhnlichen Abend nach Unterammergau. Christian Zott hatte zu der Begegnung im Lartor Resort eingeladen. Etwa 100 Gäste lernten dort zunächst bei einer Autorenlesung Kai Diekmanns Blick auf das Zeitgeschehen kennen, das er – durchaus umstritten – als Institution BILD begleitet und geprägt hat, wie beispielsweise den Skandal um den Bundespräsidenten Christian Wulff oder seinen Besuch bei Donald Trump. Anschließend servierte der international renommierte Gastkoch, der eigentlich Uri Jeremias heißt, Signature-Dishes aus seinem Restaurant »Uri Buri«, das er seit 40 Jahren in Israel betreibt.
Mit diesem Restaurant hat Uri Buri nicht nur der Levante-Küche zu neuer Beachtung verholfen. Seit Jahrzehnten arbeitet er dort mit einem großen Team von Menschen verschiedener Herkunft und Religion zusammen und ist so durch seinen unermüdlichen praktischen Einsatz zu einem Vorbild für den Frieden in Israel geworden. In seinem bewegten Leben hat er sich zum Ziel gemacht, Leute zusammenzubringen und den Radikalen keine Macht zu geben. Dazu äußert er sich im Interview (unten).
Bei dem Vier-Gänge-Menü im Lartor Resort genossen die Gäste unter anderem Lachs im Pankomantel, Makrelen-Ceviche, Adlerfisch und Shrimps mit Artischocken. Begleitet wurde das Menü mit Weinen aus Israel und auch die Autorenlesung war schon von Weinen begleitet worden, die Christian Zott für Kai Diekmann passend zu seinen Geschichten ausgesucht hatte.
»Gerade in Zeiten des Konflikts ist es wichtig, sich auf das zu besinnen, was uns alle zusammenbringt«, erklärt Gastgeber Christian Zott. »So war es mir auch wichtig, dass wir uns in einer betont entspannten Atmosphäre treffen. Kai Diekmann ist eine faszinierende Figur, der viele Jahre bestimmt hat, worüber wir gemeinsam streiten. Auch das bringt die Menschen zusammen, über dieselben Dinge zu streiten, was heute immer seltener wird. Ich freue mich, dass wir heute gemeinsam den Mann kennengelernt haben. Und Uri Buri ist selbstverständlich eine unglaublich beeindruckende Person.«
Nicht nur mit der Textauswahl aus seinem Bestseller »Ich war BILD« faszinierte Kai Diekmann die fast hundert Gäste im Lartor Resort, sondern auch im Gespräch mit der Moderatorin des Abends, der Journalistin und Filmproduzentin Dr. Alice Brauner. Dabei stellte sich Diekmann bei aller Freude des Publikums an seinen treffsicheren Anekdoten auch ernsten und kritischen Themen.
Der Abend fungierte unter der Schirmherrschaft von Talya Lador-Fresher, der Generalkonsulin des Staates Israel in Süddeutschland, als Fundraiser für den Freundeskreis der internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, dessen Vorsitzender Kai Diekmann ist. Dr. Alice Brauner ist stellvertretende Vorsitzende. Die Spenden stammen von Partnern aus der Wirtschaft, die Christian Zott in Kooperation mit dem Förderverein Macromedia Community e. V. und dessen Beirat Nicolas Seidl für diesen Abend gewonnen hat.
Bevor du dein Restaurant eröffnet hast, hattest du viele verschiedene Jobs. Was würdest du heute machen, wenn du nicht kochen dürftest?
Ich habe immer noch viele Jobs und mache verschiedene Dinge. Gerade haben wir ein Start-up, das veganes Fett herstellt, mit weniger Kalorien, Natrium und gesättigten Fettsäuren – koscher, parve. Außerdem habe ich mein Hotel [Efendi]. Ich sehe immer neue Projekte und muss mich auf die Hauptsache konzentrieren.
Bleibt das Kochen die Hauptsache?
Das Restaurant ist die Hauptsache. Das Uri Buri und ein zweites Restaurant in Caesarea. Ich stehe nur noch selten am Herd und entwickle Rezepte, wenn ich dazu inspiriert werde. Mein Leben ist nicht geplant, aber ich habe einen Weg.
Man liest, du hättest früher in einer Hippie-Kommune gelebt und wärest im VW-Bus nach Indien gereist …
Ich habe nicht dort gelebt, ich hatte dort Freunde, die ich besucht habe, aber auch das waren keine Hippies, sondern eher Beatniks. Ich war aber weder das eine noch das andre. Ich habe keiner Gruppe zugehört und keinen Kult mitgemacht. Auch jetzt gehöre ich politisch zu keiner Gruppe und kann mich nicht voll nach einer politischen Richtung oder einem Lebensstil ausrichten. Wo ich hinkam, wollte ich verstehen, sehen und lernen, was Leute tun. Ich war immer ein Beobachter, kein Mitmacher.
Als du dein Restaurant eröffnet hast, konntest du aber kein reiner Beobachter bleiben.
Wenn ich etwas gemacht habe, wie die Gründung des Restaurants, war ich mit vollem Einsatz dabei, aber immer offen, zu lernen. Ich wollte das »Uri Buri« eröffnen, nicht ein beliebiges Restaurant, um Geld zu verdienen. Ich verfolge meinen Weg, das heißt, Dinge zu tun, dich ich gern mache, mein Wissen meine Fähigkeiten anzuwenden und zu lernen. Mein Weg ist nie zu Ende.
Du bist in einem Alter, in dem sich andere längst zur Ruhe gesetzt haben.
Ich lebe so, als hätte ich noch hundert Jahre zu leben. Wenn es sich herausstellt, dass ich mich geirrt habe, könnt ihr es mir ja übelnehmen ... Es hat keinen Sinn, sich mit 60, 70 oder 80 nichts mehr vorzunehmen und auf den Tod zu warten, seine Hoffnungen und Freuden aufzugeben. Ich will jeden Tag mit einem neuen Lied in meinem Herzen aufwachen. Wenn man alles aufgibt, was man getan hat, ist das ein Selbstmord auf Raten.
Ist es immer ein Verlust, sich zu beschränken? Auch in der Küche setzt du auf Vielfalt.
Das »Uri Buri« ist so gebaut, dass jeder etwas findet, das ihm gefällt, etwas entdecken kann. Viele Gäste kommen von weit her. Wenn man dann ein Kilo Fisch isst, vom Kopf bis zum Schwanz, schmeckt alles gleich. Das hat keinen Sinn, keinen Höhepunkt, man wird nur satt. Dafür reist man nicht nach Israel und kommt zu mir. Man wäre enttäuscht. Ich kenne viele Israelis, die in der Welt herumreisen und nur Hummus essen, oder Franzosen, die im Ausland nach französischen Weinen fragen. Im »Uri Buri« gibt es nur israelischen Wein.
Erzählen die Gerichte eine Geschichte?
Die einzelnen Gerichte nicht, aber die Mahlzeit tut es, weil man etwas Neues probiert und überrascht wird. Selbst wenn ein Gast jeden Tag Forelle isst, kann er bei mir eine probieren, wie er sie noch nie gekostet hat.
Wie das?
Ich würde nie etwas servieren, das ich selbst nicht gern esse. Das ist die erste Regel. Zeitens versuche ich, mit einem Minimum von Zutaten zu kochen, höchstens acht, Gewürze, sogar Salz, eingerechnet. Ein Gericht, soll sich wie ein Fächer öffnen. Wenn ich einen Fisch koche, ist er das Verbindende, das Thema. Sonst könnte ich auch ein Stück Karton kochen.
In Unterammergau kochst du im Restaurant Hieronymus zusammen mit Robert Adam und seinem Team. Freut es dich, mit immer neuen Menschen deine Kunst zu teilen, oder behältst du manche Küchengeheimnisse für dich?
Ich habe keine Geheimnisse, weil ich immer neue Sachen mache. Ich habe auch ein Kochbuch geschrieben, in dem alles steht, aber keiner hat aufgehört, zu mir zu kommen. Das wäre ja verrückt. Es macht einen Unterschied, ob man zuhause ein Gericht nachkocht, oder bei uns isst, mit den Überraschungen, die uns Poseidon mit dem Wetter und den Meeresströmungen schickt.
Dein Restaurant liegt am Meer. Soll das Essen dort Sehnsucht nach der Ferne wecken?
Was unser Restaurant besonders macht, ist nicht die Lage, sondern, was wir mit unserer Haltung bewirken. Wie zum Beispiel die Kellner mit den Gästen umgehen. Unsere Kellner sind keine Pinguine und zwingen niemandem zum Kauf. Was ich erreichen will, ist, dass die Menschen, die unser Restaurant verlassen, einen Gedanken im Kopf haben: »Mit wem und wann kann ich das nächste Mal wiederkommen, welchem Freund kann ich hier eine Freude machen?«
Dein Weinkeller ist sehr alt …
Ja, der Keller des Hotels ist aus byzantinischer Zeit, 1500 Jahre alt.
Empfindest du Israel als ein junges oder als ein uraltes Land?
Beides. Israel ist ein neues, uraltes Land. Ich denke nicht bewusst daran, dass ich eine Tradition fortsetze, Teil einer Kette bin, aber es ist in mir drin. Ich habe keine Bürde zu tragen, aber es hat Einfluss auf meinen Weg.
Du gehörst zu den am meisten gefeierten Köchen der Welt und bist so ein international sichtbarer Vertreter der israelischen Küche …
Das sehe ich nicht so, dass ich die israelische Küche repräsentiere. Ich verwende Wasabi, Schnittlauch, Saucen, die meine Mutter mir beigebracht hat. Ich sehe eine Freiheit der Küche, mit orientalischen Einflüssen, Einflüssen des Mittelmeers, aber so könnte ich auch auf Zypern kochen – und wäre kein zypriotisches Restaurant, sondern »Uri Buri«.
Wie ist Dein Alltag derzeit in Israel?
Wir machen weiter. Meine größte Aufgabe in Krisen, von Corona, über den Brand [des Restaurants, der im Mai 2021 terroristisch motiviert gelegt wurde] bis zum heutigen Krieg, ist, das Team zusammenzuhalten und den Leuten die Sicherheit zu geben, dass wir zusammen stärker sind und einander helfen können.
Ist das eine politische Haltung?
Ich gehöre keiner politischen Bewegung an. Ich habe einen »proof of concept«. Ich glaube, dass wir alle zusammenleben können und müssen, vor allem für unsere Kinder und Enkelkinder. Wir haben 86 Leute im Restaurant, darunter Russen, Ukrainer, Drusen, Beduinen. Es ist egal, ob jemand aus Deutschland, China, oder Badad kommt. Die meisten meiner Mitarbeiter, einige sind gerade in der Armee, sind überdurchschnittlich lange bei uns, manche 15, 25, 30 Jahre.
Sonst ist der Wechsel in der Gastronomie hoch …
Wir haben alles getan, um den Stress in der Küche zu minimieren. Kein Gestank, kein Lärm, kein »Oui, chef, non, chef«, Alle arbeiten überall mit, an der Spüle, im Service. So finden die Leute einen dauerhaften Platz, alle profitieren vom Erfolg, keiner muss sich etwas Besseres suchen. Wir leben zusammen. Das ist ein »proof of concenpt«. Ich versuche immer zu sehen, wie ich Leute zusammenbringen kann. Ich mag keine Radikalen, mit denen man nicht reden kann. Wir müssen uns gegen die Radikalen zusammentun, die Minderheit, die unseren Alltag beeinflusst und eine solche Macht über uns hat. Dabei ist es traurig zu sehen, wie andre Leute politisch auftreten und weltweit demonstrieren.
Du meinst die Studenten, die protestieren?
Die auch. Ich habe schon in den sechziger Jahren erlebt, wie man gegen den Schah demonstriert hat. Mit einem befreundeten Fotografen bin ich zu allen möglichen Leuten aus dieser Protest- und Kulturszene gekommen. Die hatten keine Ahnung, aber es gab große Aufregung. Sie genossen den Trubel, die Community und das Gefühl, etwas zu tun.
Bei der Veranstaltung in Unterammergau kochst Du für Gäste, die zuvor Kai Diekmann bei einer Autorenlesung hören. Welche Erwartung hast du an die Veranstaltung?
Überall wo ich hingehe, versuche ich, sauber, ohne Vorurteile hinzukommen, höre zu, bin beeindruckt oder nicht beeindruckt. Ich breite mich nicht vor, aber ich bin doch da, mit meinem Kopf, meinem Verstand, meinen Ausdrucksmöglichkeiten. Ich versuche, mich nie zu verstellen. Es käme am Ende doch raus.
Viele Menschen wünschen sich, nur sie selbst zu sein, haben aber nicht so viel Erfolg wie du.
Ich habe Glück. Aber Glück ist keine einfache Sache. Man muss in Bewegung sein, so bringt man das Glück mit, indem man viele Dinge tut, Horizonte öffnet, Wissen aus einem Bereich in einen anderen überträgt. Seneca sagt: »Luck comes, when preparation meets opportunity.« Alles, was wir lernen, öffnet den Winkel unseres Denkens, und bereichert die Chancen, die wir haben. Das ist das Glück, das ich habe: In Bewegung bleiben, Leute treffen, Situationen erfahren. So habe ich in meinem Leben Glück gehabt und war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Aber jeder muss sein Leben leben, nicht meines.
Die Veranstaltung dient als Fundraiser für den Freundeskreis der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Welche Bedeutung hat die Erinnerung?
Für mich ist sie Teil meiner Familie, die an verschiedenen Ort und im KZ umgekommen ist. Meine Großeltern und Urgroßeltern haben in Deutschland gelebt. Mein Vater war in Posen geboren und ist als Deutscher 1918 von dort vertrieben worden. Er studierte dann Hannover Landwirtschaft, an der „Israelitischen Gartenbauschule“, der ersten jüdischen weltweit. Er kam nach Palästina, um dort die Landwirtschaft voranzubringen. Meine Mutter wurde in Berlin geboren. Der Großvater war der Zionist Davis Trietsch. Sobald meine Mutter volljährig war, ging sie nach Israel. Ich bin Teil einer Kette von Zionisten, die an ein Zusammenleben geglaubt haben. Das ist in mir drin. Keiner aus meiner Familie war radikal. Die Radikalen sind nur ein Teil der Gesellschaft, der nicht wachsen darf.